In den meisten Fällen der atopischen Dermatitis (AD) des Hundes bildet der Organismus nach vorheriger Sensibilisierung Antikörper vom Typ IgE (Immunglobulin E) gegen sonst „normale“ Stoffe in der Umgebung, beispielsweise gegen Blütenpollen, Hausstaubmilben, Hautschuppen von Katzen etc.
Die Antikörper zirkulieren im Blut und haben eine besondere Affinität für bestimmte Zellen im Gewebe (v.a. Mastzellen), an deren Oberfläche sie sich binden.
Kommt es zu erneutem Kontakt mit dem Auslöser (Allergen), werden die Antikörper vernetzt. Als Folge setzen verschiedene Entzündungszellen bestimmte Inhaltsstoffe (Mediatoren) frei, was zu Entzündung der Haut mit Gewebeschädigungen und Juckreiz führt.
Dabei bietet die veränderte Haut ideale Lebensbedingungen für Bakterien und Hefepilze, welche ihrerseits die Haut ebenfalls schädigen und die Entzündung verstärken.
Die entzündlichen Veränderungen schaukeln sich hoch und werden durch Kratzen, Lecken, Beißen etc. des Patienten noch verstärkt.
Die Haut kann ihrer Aufgabe, eine Barriere gegen eindringende Allergene zu bilden, nicht mehr nachkommen.
Je mehr Allergene aber eindringen, desto weiter kommt es zu allergischen Reaktionen – und desto mehr neue Stoffe in der Umgebung haben die Chance, den Patienten zu sensibilisieren und weitere allergische Reaktionen auslösen zu können.
Wird die Erkrankung vererbt?
Nach heutigem Wissensstand wird die Anlage, eine atopische Dermatitis zu entwickeln, vererbt. Dies heißt aber nicht, dass das Tier auch daran erkranken wird!
Erst wenn Umweltfaktoren dazukommen, die die Entwicklung der Erkrankung fördern, kommt es zur Erkrankung.
Zu derartigen Faktoren zählen beispielsweise Haltungsbedingungen, Futterzusammensetzung, Hausstaubmilben in der Umgebung, Tabakrauch, evtl. auch Umweltverschmutzung, andere Erkrankungen wie Flöhe/Flohbefall, Ektoparasiten wie Sarcoptesmilben, Darmparasiten etc. etc.
Was ist IgE und was bedeutet ein erhöhter IgE-Spiegel im Blut?>
IgE ist ein Teil des sogenannten humoralen Immunsystems. Es wird von einer bestimmten Untergruppe der weißen Blutkörperchen, den B-Lymphozyten, produziert.
Seine Produktion wird von einer Vielzahl von Faktoren beeinflusst. Es existiert auch nicht nur eine Art des IgE beim Hund, sondern verschiedene Untertypen.
Die Höhe des Gesamt-IgE-Spiegels ist genetisch festgelegt und unterliegt einer großen Schwankungsbreite.
Zu einer vermehrten Produktion von IgE können v.a. Parasiten (im Darmbereich, auf der Haut etc.) führen, ebenso Bakterien, Hefepilze etc.
Dieses IgE ist unspezifisch, dürfte also im Bluttest, wo allergenspezifisches IgE gemessen wird, strenggenommen nicht mitreagieren. Leider tut es dies aber bei starkem „IgE-Überschuß“ trotzdem, kann also falsch-positive Ergebnisse vortäuschen.
Die Bildung von spezifischem IgE, also IgE, welches gegen spezielle (Einzel-)Allergene gerichtet ist, besagt lediglich, dass der Organismus sich vorher irgendwann einmal mit dem Allergen auseinandergesetzt hat.
Die Menge an spezifischem IgE allein erlaubt aber nicht zu unterscheiden, ob ein Patient (Tier oder Mensch) Atopiker ist oder nicht. Auch völlig gesunde Tiere können erhöhte IgE-Spiegel aufweisen (s. weiter unten).
Welche Tiere erkranken häufiger an AD?
Je nach Untersuchungsort und lokalem Genpool (USA, Skandinavien, England, Frankreich, Deutschland etc.) variieren die Rassen, die als besonders häufig betroffen genannt werden.
Generell scheinen aber Terrierrassen (v.a. Yorkshire, Westhighland White, Cairn, Jack Russel), Dalmatiner, Boxer, DSH, Labrador, Golden Retriever, englische Bulldogge, englischer Setter und Shar-Pei zu den besonders prädestinierten Rassen zu gehören.
Es gibt eine deutliche Altersprädisposition: Die allermeisten Tiere sind zwischen 1 und 3 Jahren alt, wenn sie erste Symptome entwickeln.
Der Beginn einer atopischen Dermatitis etwa im Welpenalter oder bei einem mittelalten oder älteren Hund ist sehr unwahrscheinlich!!
Welche Symptome sind typisch?
Die AD hat als erstes Zeichen Juckreiz OHNE Hautveränderungen (bestenfalls mit Hautrötung), daher wurden erkrankte Tiere bis vor etwa 20 Jahren auch mitunter mit der Diagnose „Pruritus sine materia“ (Juckreiz ohne Grund“) als psychisch erkrankt mit entsprechenden Medikamenten behandelt.
Der Juckreiz hat ein typisches Verteilungsmuster, er betrifft v.a. Gesicht (Augen, Kinn, Lefzen), Ohren und Pfoten (Zwischenzehenbereich und Pfotenunterseite), auch Achseln, Bauchbereich, Innenschenkelbereich und Beugestellen (Ellenbogenbeugen, Sprunggelenksbeuge).
Manche Tiere lecken auch im Analbereich. Der Rücken ist, wenn überhaupt, erst zuletzt betroffen.
Sehr schnell folgen dann Entzündungen mit Bakterien und/oder Hefepilzen mit ihren typischen Symptomen (Pusteln, Krusten, Haarverlust …), vermehrte Schuppenbildung und schließlich chronische Hautveränderungen mit Haarlosigkeit, Verdickung und Schwarzfärbung der Haut, ranzigem Geruch etc.
Auch chronische oder chronisch-wiederkehrende Ohrentzündungen oder Pfotenentzündungen werden häufig festgestellt.
Wie wird die Diagnose gestellt?
Die Diagnose wird nicht mit Haut- oder Bluttests, sondern klinisch gestellt: Der Hauttierarzt nimmt eine ausführliche Vorgeschichte auf, untersucht den Patienten, schließt andere Ursachen für Juckreiz und Hautprobleme (vor allem Ektoparasiten!) aus, berücksichtigt auch Alter und Rasse des Patienten.
Wenn die Diagnose dann „atopische Dermatitis“ lautet, werden spezifische Tests veranlasst, um mögliche Allergieauslöser (Allergene) zu identifizieren.
Positive Ergebnisse in den genannten Tests müssen mit den Symptomen des Patienten vereinbar sein.
Auch gesunde Tiere können beispielsweise eine positive Reaktion auf Hausstaubmilben im Allergietest zeigen, wenn sie im Haus gehalten werden und somit ständig mit den Milben in Kontakt kommen.
Zeigt der Hund Juckreiz nur im Sommer und nur, wenn er draußen ist oder von draußen kommt, ist dies auch mit einem positiven Testergebnis sicherlich nicht mit einer „Hausstaubmilbenallergie“ zu erklären!
Behandlung der atopischen Dermatitis
Die erfolgreiche Behandlung der atopischen Dermatitis (AD) stellt eine besondere Herausforderung für den Tierhalter und den Tierarzt dar. Jeder Fall ist anders, Behandlungspläne müssen in aller Regel individuell erstellt werden. Dazu sind gute Kenntnisse über diese Erkrankung unabdingbar.
In der Mehrzahl der Fälle ist es erforderlich, verschiedene Behandlungen miteinander zu verbinden. Heute stehen uns mehrere Behandlungsstrategien zur Verfügung, davon sind einige neu. Anpassungen an den Verlauf der Erkrankung und eine enge, vertrauensvolle Zusammenarbeit zwischen Tierhalter und Tierarzt sind weitere Grundvoraussetzungen für den Erfolg.
Das primäre Ziel bei der Behandlung der AD ist die Minderung des intensiven, meist chronischen Juckreizes, welcher die Hauptbeschwerde bei dieser Erkrankung darstellt.
Die AD ist eine multifaktorielle Erkrankung. Aeroallergene, v.a. von Hausstaubmilben, seltener von Blütenpollen, werden beim Hund als Primärfaktoren bei der Entstehung der AD angesehen. Sie gelangen über die Luft auf die Haut und werden dort nach dem Durchdringen der Epidermalbarriere von sog. Antigen-präsentierenden Zellen erkannt und an Entzündungszellen weitergereicht. Daneben können Nahrungsmittelallergene, eine Vermehrung von Bakterien und Malassezien (Hefepilze) – beide gehören zur normalen Hautflora – auf der Haut, Schwitzen, Feuchtigkeit auf der Haut, Wärmebelastungen, trockene Haut, Defekte der epidermalen Barrierefunktion sowie psychogene Faktoren wie Nervosität, Stress oder Langeweile zur Entwicklung und klinischen Manifestation der Erkrankung beitragen (Fig. 1).
Derartige Faktoren werden aggravierende Faktoren genannt. Sie kommen sekundär wie auch unabhängig zur AD vor, senken die Juckreizschwelle in unterschiedlichem Maße und sollten in der Regel als erstes behandelt werden. Wenn beispielsweise eine bakterielle Überbesiedlung der Haut diagnostiziert wird, sollte man zuerst eine antibakterielle Therapie und, falls angezeigt und gewünscht, erst danach eine Desensibilisierung durchführen. Ein schrittweises Ausschalten der aggravierenden Faktoren trägt dazu bei, deren individuelle Bedeutung als Ursache des Juckreizes zu erkennen.
Fig.1: Nicht-parasitärer Juckreiz beim Hund:
Viele „aggravierende Faktoren“ tragen in unterschiedlichem Maße zur Schwere der klinischen Symptome der AD bei (Mühlrad-Schwelleneffekt).
Für eine erfolgreiche Behandlung der AD stehen folgende Behandlungsverfahren zur Verfügung:
(1) Behandlung aggravierender Faktoren
a) Überbesiedlung bzw. Infektion der Haut
durch Bakterien oder Malassezien
b) Defekte in der Hornschicht der Epidermis
(trockene Haut/ defekte Barrierefunktion)
c) Psychogene Faktoren
wie Stress, Ängstlichkeit oder Langeweile
(2) Vermeidung/ Verminderung spezifischer Allergene
(Aeroallergene, aber auch Futtermittelallergene)
(3) spezifische Immuntherapie (Desensibilisierung)
(4) anti-inflammatorische / symptomatische Therapie des Pruritus
a) orale Behandlung
b) örtliche Behandlung
Die Behandlung bei übermäßiger Proliferation der normalen Hautflora erfolgt mit antimikrobiellen Wirkstoffen (Antibiotika, pilzwirksame Mittel). Zusätzlich zur oralen Behandlung sollten Shampoos, Leave-ons (Verwendung von wasserlöslichen Cremes nach dem Shampoonieren), Puder (für Falten der Haut und den Zwischenzehenraum) eingesetzt werden, um den antimikrobiellen Effekt zu verstärken und das Behandlungsziel rascher und nachhaltiger zu erreichen (z.B. mit Chlorhexidin-Shampoos oder –Puder).
Zur Therapie trockener Haut und der defekten Barrierefunktion der Epidermis eignen sich ungesättigte Fettsäuren (oral verabreicht) sowie Feuchtigkeitsspender und Emollientien zur örtlichen Anwendung. Seit wenigen Jahren steht ein hochentwickeltes medizinisches Shampoo mit positiven Effekten auf die Barrierefunktion der Epidermis zur Verfügung (Allermyl Shampoo, s.u.).
Psychogene Faktoren wie Stress, Ängstlichkeit oder Langeweile tragen zur klinischen Erkrankung der AD bei. Verhaltenstherapie, viel Bewegung, Übungen, Agility training, Spielzeug, ein neuer Spielgefährte oder andere Abwechslungen erlauben in solchen Fällen, die Schwelle, bei der Juckreiz durch Mehrfachbelastungen ausgelöst wird, anzuheben.
Die vollständige Vermeidung von Allergenen aus der Umgebung ist selten möglich. Zur Reduktion von Hausstaubmilben können praktische Maßnahmen wie häufiges Lüften der Räume, Herabsetzen der Raumtemperatur, Ersetzen von Teppichböden durch nicht textile Bodenbeläge, Ersatz oder Bezug über Kissen oder Decke im Körbchen usw. beitragen.
Die spezifische Immuntherapie (Desensibilisierung) erfolgt durch wiederholte Injektionen mit zunehmenden Dosen von durch einen Intrakutantest oder einen Bluttest ermittelten Immunogenen (Allergenen). Als Faustregel gilt: 1/3 der Patienten kann geheilt werden, 1/3 der Patienten muss regelmäßig einmal oder mehrmals im Jahr weiter behandelt werden, und 1/3 der Patienten spricht nicht auf die Therapie an.
Die Resultate hängen ab von der Qualität des spezifischen Allergens, seinem Nachweis durch einen Intrakutan- oder einen serologischen Test, die Auswahl und die Qualität der Hyposensibilisierungslösung, gleichzeitig vorliegenden aggravierenden Faktoren, der Menge spezifischer Allergene in der Umgebung usw.
Zur symptomatischen Behandlung von Entzündung und Juckreiz stehen u.a. die folgenden Wirksubstanzen zur Verfügung.
a. Glukokortikoide (Kortison)
Langzeitbehandlung möglichst vermeiden.
Oral: nach Möglichkeit Kurzzeitkortikoide (Prednison/Prednisolon), zunächst täglich, dann jeden 2. oder 3. Tag, eine wirksame Minimaldosierung kann entsprechend der Wirkung ermittelt werden (Reduktion von Nebenwirkungen).
Örtlich: Creams, Lösungen oder Sprays, zuerst hochwirksame, danach schwachwirksame Wirkstoffe 1-2x tgl., evtl. auch jeden 2. oder 3. Tag.
Einsparung von Kortison in einigen Fällen möglich durch gleichzeitige Shampootherapie sowie orale Behandlung mit ungesättigten Fettsäuren und/oder Antihistaminika.
b. Antihistaminika
Oral: generell nur in wenigen Fällen wirksam. Wichtig: zuerst muss eine eventuell vorliegende Überbesiedlung der Epidermis mit Bakterien oder Hefepilzen behandelt werden.
Beste Wirkung bei Cetirizin (eigenen Erfahrungen). Verhindert Wanderung von Entzündungszellen vom Blut in die Epidermis.
c. Cyclosporin
Oral: Sehr gute Erfolge bei der Behandlung der AD des Hundes (übrigens auch des Menschen). Unerwünschte Nebenwirkungen in Einzelfällen: Magen-Darm-Störungen (Erbrechen, Durchfall), selten Schwellungen des Zahnfleischs mit örtlichen Blutungen und Wucherungen (reversibel), Lahmheiten. Im Gegensatz zum Menschen beim Hund keine Nieren- oder Lebertoxizität beobachtet. Bei gleichzeitiger Verabreichung bestimmter anderer Medikamente erhöhte Blutspiegel von beiden Substanzen. Vor allem bei großen Hunden kann damit evtl. ein Einsparungseffekt (Kostenreduktion) erzielt werden.
d. Hafermehl Shampoos
Örtlich: juckreizmindernd, feuchtigkeitsspendend und entzündungshemmend.
e. Shampoos mit Mono- und Oligosacchariden
Örtlich: v.a. L-Rhamnose, immunsuppressiv, anti-adhäsive Wirkung bei Bakterien und Malassezien gegenüber Keratinozyten (Allermyl Shampoo von Allerderm/Virbac), beruhigend, juckreizmindernd.